Du sitzt über diesem Bild, verfolgst seine Konturen, siehst den Bodensee, Lindau. Ein Bauernhof, mit Hopfenanbau. Eine Eisenbahn, die über den Bodenseedamm fährt, die Berge Vorarlbergs, Liechtensteins. Dampfschiffe schleichen über den See. Ich fahre mit einem feinen Tuch vorsichtig über die Oberfläche des Ölbildes. Sanft tupfe ich die Reinigungsmilch auf. Fast schon in meditativer Weise. Fasziniert beobachte ich, wie unter dem Schmutzfilm kleinste Details auftauchen. Man könnte beinahe sagen, im mikroskopischen Bereich. Wie viele Stunden mochte der Maler an diesem Bild gesessen haben?

Der Historiker und Schriftsteller in mir wird wach. Tausend Geschichten rund um das Bild schießen durch meinen Kopf: Mühsam entziffere ich den Namen des Malers. Eduard Schuler.

Ich schaue im Netz nach. Finde erst nur wenig. Dann aber entdecke ich ihn: Edouard Schuler (geb. 1806 in Straßburg – gest. 1882 in Lichtenthal b. Baden-Baden) war ein Zeichner, reproduzierender Stahlstecher u. Lithograph in Straßburg und Karlsruhe, der vor allen Dingen wegen der Qualität seiner Stahlstiche geschätzt wurde/wird. Lese, dass er Könige, Herzöge und andere Persönlichkeiten ins Bild gesetzt hat. Ein offenbar hoch geschätzter Mensch seiner Zeit.

Fragen tauchen auf: wie war die Zeit, in der er gelebt hat? Wie war unsere Welt damals? Wie lebten die Menschen? Wie ging es jenen Einwohnern Lindaus in diesem Jahr 1859, als er es gemalt hatte? Was hatte Eduard Schuler in Lindau und Oberschwaben zu tun? Und, für wen malte er das Bild?

War es ein Auftrag? Sollte es ein Geschenk für seine Liebste werden?

Was geschah mit dem Bild danach? Durch welche Hände ging es? Wie gelangte es nach Berlin? Entdecke den Namen der Galerie, die es wohl in Berlin veräußert hat. Die Namen der folgenden Besitzer von Beginn des 20. Jahrhunderts an kenne ich. Weiß, dass das Bild in einer Villa in Grunewald hing. Im zweiten Weltkrieg wurde es in einem Bunker deponiert, überstand einen Bombenvolltreffer, Feuerbrunst und die Wirren der Nachkriegszeit. Es reiste mit den Flüchtigen durch Deutschland und gelangte in den Süden. Jetzt ist es bei uns. Ein unermessliches Bilderkino taucht vor meinen Augen auf. Mein Gott, wie viele unglaubliche Geschichten man entlang der Lebenszeit dieses Bildes erzählen kann. 160 Jahre. Und wir werden nicht die Endstation sein. Sind nur zeitweise die Bewahrer dieses Werkes. Dann wandert es weiter. In die Epoche meines Paul Reimers, jenem „Zitronenfalter“.

Doch zurück zum Maler: Eduard Schuler – erzähl uns mehr zu diesem Bild. Erzähl uns Deine Beweggründe. Hast du den Bodensee und Oberschwaben so geliebt, wie wir es tun? Wärst du erschrocken, würdest du die Region heute wieder sehen können?
Und dann das Bild selbst: es erzählt so viele Geschichten. Regt die Fantasie an, zeigt so viele wunderbare Details.

Schriftsteller können hieraus Geschichten entwickeln: Krimis, Abenteuergeschichten, Herrscherromane, Liebesgeschichten, Schicksalsgeschichten, historische Zeitreisen vor und zurück. Oder aber, sie schreiben die Geschichte, wie der Damm auf die Insel gebaut wurde und die erste Eisenbahn nach Lindau fuhr. Ich kann gar nicht aufhören…. Was, wenn es plötzlich in einem Kriminalroman von Steven Plodowski eine zentrale Rolle spielt?

Was kommt Euch dabei in den Sinn?


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